Kölner Stadt-Anzeiger - Nr. 180 - Freitag, 5, August 1994 - Seite 4

"Lippenstift gilt als Verbrechen"

Fragen an Parwin Darabi, deren Schwester Homa sich im Februar in Teheran öffentlich verbrannte, zur Lage der Menschenrechte im Iran - "Lebende können mehr für ihr Land tun als Tote"

 
Aus Protest gegen das Mullah-Regime im Iran hat sich Homa Darabi (54) im Februar öffentlich in Teheran verbrannt. Die Universitätsdozentin und Kinderärztin hatte sich geweigert, bei ihrer Arbeit den Schleier zu tragen. Sie verlor ihre Stelle, wurde von der Militärpolizei verfolgt und mußte schließlich auch ihre Privatpraxis schließen. Die Flucht aus dem Iran war Ihr nicht möglich, denn ihr Mann verweigerte ihr die nötige Ausreiseerlaubnis. - Mit ihrer Schwester Parwin Darabi sprachen wir in Köln

Frau Doktor Parwin Darabi, hat sich der Tod Ihrer Schwester gelohnt?

Darabi: Ich habe gemischte Gefühle. Lebende können mehr für ihr Land tun als Tote. Aber der Tod meiner Schwester hat eine Welle der Empörung über dieses unmenschliche Regime ausgelöst, vor allem bei den Iranerinnen in den USA.

Frage: Wie ist zur Zeit die Menschenrechtslage im Iran?

Darabi: Im Moment gibt es im Iran keine Menschenrechte. Jeder, der das Regime kritisiert, wird verhaftet. Unter Folter werden Geständnisse erzwungen. Schließlich ist jeder bereit, jedes Geständnis zu unterschreiben. Vor kurzem haben sie zwei Schriftsteller verhaftet, Saidi Sirdjani und Niaze Kermani.


"Unter Folter werden Geständnisse erzwungen": Parwin Darabi beim Gespräch mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger". (Foto: Holubovsky)
Sie haben mich eindringlich gewarnt, weil sich das Mullah-Regime durch meine Arbeit provoziert fühlt.

Frage: Der Iran hat sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich dem Westen geöffnet. Gleichzeitig haben die Repressionen zugenommen. Wie erklären Sie diese Entwicklung, die auf den ersten Blick widersprüchlich scheint?

Darabi: Ich weiß nicht, von welcher wirtschaftlichen Öffnung Sie sprechen, Die Lage wird immer katastrophaler, die Inflation galoppiert, die Leute haben keine Arbeit, Das Regime hat von Wirtschaftsreformen geredet, um westliche Investoren anzulocken. Sie haben einige Gesetze erleichtert aber mit der Krise haben sie den Druck verschärft. Es ist im Iran nichts Neues daß dann zuerst die Frauen unterdrückt werden. Doch das alles dient nur dazu, die Bevölkerung zu kontrollieren und von der Wirtschaftskrise abzulenken.

Frage: Institutionen wie das Europäische Parlament oder Menschenrechtsorganisationen haben verschiedentlich auf die katastrophale Menschenrechtslage hingewiesen. Reicht das?

Darabi: Reden kostet nichts, aber es hilft auch nur, wenn Taten folgen - und die blieben aus. Den Iran oder andere Staaten nur dafür zu verurteilen, daß sie die Menschenrechte mißachten, reicht nicht aus. Diese Länder müßten wirtschaftlich unter Druck gesetzt werden.

Mit Parwin Darabi sprach Bettina Rühl


Parwin Darabi lebt seit 1964 in den USA. Geboren wurde sie 1942 im Iran. Die berufstätige Ingenieurin ist in zweiter Ehe verheiratet und hat einen Sohn. Seit dem Selbstmord ihrer Schwester Homa Darabi reist sie durch die USA und Europa, um über die Menschenrechtslage im Iran zu informieren.

Der einzige Grund war: Sie hatten darüber geschrieben, was das Regime dem Volk antut. Saidi gestand, daß er homosexuell sei und beide gaben zu, daß sie Drogendealer. Aber jeder, den sie kriegen, gesteht, daß er ein Drogendealer ist. Und darauf steht die Todesstrafe.

Frage: Wie wird gefoltert?

Darabi: Vor allem mit Schlägen. Ich habe das Photo einer Frau gesehen, die gefoltert worden ist, nur weil sie zu einer Geburtstagsfeier gegangen war. Sie mußte sich nackt ausziehen - eine Schande gerade für Frauen,

die in einem islamischen Staat erzogen worden sind - und wurde mit 150 Stockschlägen blutig geschlagen.

Frage: Für welche Vergehen müssen Frauen mit Repressionen rechnen?

Darabi: Frauen werden überall und zu jeder Zeit verfolgt. Wenn eine Frau in Begleitung eines Mannes gesehen wird mit dem sie nicht verwandt ist, gilt das als Verbrechen. Oder wenn man ihr Haar sehen kann, wenn sie Lippenstift trägt, Nagellack oder Stöckelschuhe. Es gilt als Gotteslästerung, wenn sie unverschleiert ist. Und darauf steht die Todesstrafe.

Frage: Welche Rolle spielt der iranische Geheimdienst? Sie selbst leben in den USA - sind Sie dort schon belästigt worden?

Darabi: Nein. Aber zu einer Konferenz über Frauenrechte kamen kürzlich einige Iranerinnen nach Washington.